Endkunde treibt Digitalisierung – und damit Veränderungen in den Wertschöpfungsketten

von Prof. Dr.-Ing. Thomas Wimmer

Insgesamt 15 Trends beeinflussen Strategien und Praxis der Logistik, beispielsweise exogene Trends wie Kostendruck, Individualisierung und Komplexität und endogene Trends wie verbesserte Transparenz in Supply-Chains durch Digitalisierung der Geschäftsprozesse. Wesentlicher Treiber beider Kategorien ist – das wundert die Händler nicht – der Endkunde, der sich in Industrie, Handel und Dienstleistung wettbewerbsentscheidend bemerkbar macht. Die Antwort auf viele Kunden­anforderungen ist wiederum die Digitalisierung.

Die digitale Transformation umfasst nicht nur im Handel unterschiedliche strategische Schwerpunkte: Unternehmenswandel, Weiterentwicklung von IT, Datennutzung, Förderung von Innovationen. Sie entwickelt sich so schnell, dass am Experimentieren und Nachjustieren kein Weg vorbeigeht. Mit der Digitalisierung treten neue Geschäftspartner mit anderen Unternehmenskulturen auf den Plan, die es produktiv zu integrieren gilt. Folglich sind alle Akteure aufgefordert, aktiv mitzuwirken, damit sich Unternehmen und Wirtschaftsstandorte im digitalen Wettbewerb erfolgreich positionieren können.

Von den 1 351 Studienteilnehmern der Trends- und Strategien-Studie der BVL aus dem Jahr 2017 schätzen drei Viertel die Chancen durch digitale Transformation für ihr Unternehmen als hoch ein. Mehr als die Hälfte der Unternehmen wartet jedoch ab, bis erprobte Lösungen vorliegen. Ein Drittel der Befragten sieht hohe Risiken durch Digitalisierung und begründet dies mit erforderlichen Sachinvestitionen, Qualifizierungsbedarf für neue Abläufe, der zeitlich anspruchsvollen Förderung von IT-Kompetenzen sowie der bislang fehlenden Kultur des Ausprobierens und Lernens. Doch der Mut zur Veränderung lohnt sich.

Kernaussagen
Um zum Erfolg zu führen, erfordert die digitale Transformation einen konsequenten, aktiv gestalteten Unternehmenswandel.
Dazu gehören die Weiterentwicklung von IT, Datennutzung, Förderung von Innovationen und die Schulung der Mitarbeiter.
Der Prozess hat eine hohe Dynamik. Am Experimentieren und Nachjustieren führt kein Weg vorbei. Gerade im Handel gibt der Kunde verstärkt den Takt vor. Nicht „Einkäufe erledigen“, sondern „Einkaufserlebnisse finden“. Reales und Digitales wird kombiniert. Um neue Einkaufserlebnisse wirtschaftlich anbieten zu können, sind digitale Tools unerlässliche Schlüssel zum Erfolg.

Digitale Technologien ermöglichen es, Kosten zu senken – beispielsweise durch intelligente Vorhersagen oder durch die operative Unterstützung der Mitarbeiter. Sie können aber auch zur Verbesserung der Kundenbeziehungen beitragen und neue Geschäftsfelder eröffnen. Diese Wirkungen einer digitalen Transformation werden von einer Mehrzahl der Handelsunternehmen (74,5 %) bestätigt.

Um erfolgreich digitalisieren zu können, wird zunächst eine Datenbasis benötigt, die über Unternehmensgrenzen hinaus auswertbar ist. Zur Erfassung, Speicherung und Übertragung von Daten existieren im Handel bereits umfassende Ansätze, denn die Objektverfolgung auf Produktebene ist dort essenziell. Über 60 Prozent der Unternehmen nutzen 2-D-Codes – und kaum RFID. Die Vision einer Supply-Chain, die sich mithilfe von RFID-markierten Produkten darstellen lässt, wird von der Praxis noch nicht getragen.

Der Einsatz von Sensoren an Behältern, Ladehilfs- und Transportmitteln wird attraktiver: Sie sind nützliche Datenquelle und Verfolger von Betriebszuständen zugleich und können Handlungen auslösen. Sensorik wird als mittel bis hoch relevant eingeschätzt – im Handel geringer als im verarbeitenden Gewerbe. Fast 40 Prozent der Handelsunternehmen planen keine Einführung von Sensorik, in der Pro­duktion nutzen sie mehr als die Hälfte intensiv.

Die Auswertung von gespeicherten Informationen über Kapazitäten, Aufträge oder Kunden wird im Handel seit Jahren betrieben, beispielsweise die elektronische Abwicklung von Aufträgen und die kennzahlengestützte Ableitung von Maßnahmen. Predictive Analytics und Predictive Maintenance ermöglichen Optimierungen in Geschäftsprozessen.

Die komplette Umstellung von IT-Systemen ist für Unternehmen oft schwer umsetzbar. Alt-Systeme müssen angebunden und Produktivsysteme ersetzt werden, denn die IT-Landschaft in den Unternehmen hat sich unterschiedlich entwickelt. Neue Serviceangebote wie „Anything as a Service“ (XaaS)-Ansätze können flexibel mitwachsen, verursachen geringere Investitionskosten und geben den Nutzern schneller Zugang zu neuen Applikationen. Bei den cloudbasierten IT-Services wurden die Bereiche Software (SaaS), Infrastruktur (IaaS) und Plattformen (PaaS) untersucht: Nur 20 Prozent nutzen diese Services heute und nur 10 Prozent planen den Einsatz innerhalb der nächsten fünf Jahre. BVL-Experten mahnen hingegen, dass cloudbasierte Infrastruktur unerlässlich sei, weil die Datenmengen und die Anforderungen an die Servicequalität weiter zunehmen werden.

Warehouse-Management-Systeme wurden von allen Experten als eines der relevantesten Technologiekonzepte identifiziert, fast 60 Prozent der Teilnehmer setzen solche Software umfassend ein. „Enterprise Resource Planning“ (ERP)-Systeme sind von sehr hoher Relevanz, obwohl deren Einsatz mit großem Aufwand verbunden ist. Unternehmen mit über 3 000 Mitarbeitern setzen diese Systeme zu weit über 80 Prozent ein, denn durchgängige und schnelle Verfügbarkeit von Daten der gesamten Supply-Chain sind essenziell.



Assistenzsysteme erleichtern und verbessern die Arbeit des Personals. Beim Warenumschlag oder im Lager ist deren Einsatz sinnvoll, um Fehler zu vermeiden, die Mehr- und Nacharbeiten nach sich ziehen. Außendienstmitarbeiter nutzen Anwendungen auf mobilen Endgeräten, etwa für Instandhaltung oder den Zugriff auf Unternehmensdaten und Kennzahlen. Bereits über die Hälfte der Studienteilnehmer haben den mobilen Datenzugriff für Mitarbeiter realisiert, nur ein Zehntel der Befragten hat bis jetzt keine Pläne hierzu.

Ein Datenzugriff über Wearables wie Smartwatches oder Activity-Tracker erhielt nur mäßige Bewertungen: 52 Prozent planen keine Nutzung in den nächsten fünf Jahren. Diese Aussage steht im Widerspruch zu einer Bitkom-Befragung, in der drei Viertel der Verantwortlichen aus Unternehmen mit eigener Logistik erwarten, dass Datenbrillen weit verbreitet sein werden. Zwei Drittel glauben sogar, dass selbstlernende Systeme viele Aufgaben in der Logistik übernehmen werden, etwa Routen-Planung oder das Auslösen von Bestellvorgängen. Wunsch und Wirklichkeit werden also weiterhin zu beobachten sein.

Ähnliche Ergebnisse sind auch bei Augmented-Reality (AR)-Lösungen zu beobachten. Auch hier bestätigen die BVL-Experten, dass das Aufzeichnen der realen Umgebung und die Überblendung mit zusätzlichen Informationen in Form von stationären Geräten oder als Smartphone-Apps für den Einzelhandel interessant werden können.

Die autonome Zustellung im öffentlichen Raum mithilfe kleiner landgebundener Roboter testen Unternehmen wie Hermes, MediaMarkt und die Schweizer Post mit Starship Technologies oder der Pizzalieferdienst Dominos mit Marathon Targets. Handel und Logistikdienstleister bewerten die Roboterunterstützung noch mit nur mittlerer Relevanz. Die Bitkom-Studie weist aus, dass autonome Drohnen Inventuren im Lager erledigen werden. 57 Prozent gehen sogar davon aus, dass die Waren mit autonomen Fahrzeugen transportiert werden. Das prognostiziert auch die BVL – für 2025 bis 2030. //

 

 

Autorenvita: Prof. Dr.-Ing. Thomas Wimmer

 

 

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©Kai Bublitz/BVL

 

 

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