Alles bezahlen, überall

Handel mit Zukunft sprengt Grenzen – zwischen Absatzkanälen, zwischen Netzwerken und zwischen Ländern. Drei Strategien für erfolgreiches Payment.

von Henning Brandt

Noch nie war Handel so einfach. Mit wenigen Klicks einen Shop aufgesetzt, ein paar gelungene Bilder und werbestarke Texte, und schon rollt der Umsatz – meint der Laie. Noch nie war Handel so schwierig. Was nützt das kompetente Sortiment, der preiswürdig designte Shop, wenn hinter dem nächsten Klick schon die Konkurrenz aus aller Welt lauert? Und der Verbraucher, das verwöhnte Wesen, kann sich nicht entscheiden: kauft heute im Ladengeschäft, morgen von seinem Rechner im Büro aus und zwischendrin noch aus der U-Bahn mit dem Smartphone.

Natürlich möchte er sich komfortabel von jedem Gerät aus einloggen, ohne großen Aufwand online bezahlen und wenn er bestellte Ware in den Laden zurückbringt, die Zahlung auf seiner Kreditkarte zurückgebucht sehen. Und das ganze natürlich auch in New York, Rio, Tokio.

Händler, die eine Zukunft haben wollen, müssen sich jetzt entscheiden: sich beklagen oder etwas wagen. Unter den rund 15 000 Händlern, die Computop betreut, gibt es ganz klar die Tendenz, Neues zu wagen: Grenzen aufzubrechen.

Nationale Grenzen: Immer mehr Händler schauen über den Zaun zu den Nachbarn. Ist der erste Schritt für deutsche Händler fast immer der Sprung ins deutschsprachige Ausland, so geht es nach ersten Erfolgen in Österreich und der Schweiz in weitere europäische Länder.

Das ist aus Payment-Sicht ein großer Schritt. Denn gerade Europa zeichnet sich durch sehr unterschiedliche Zahlungspräferenzen aus. Kaufen Deutsche am liebsten auf Rechnung, so geht in den Niederlanden nichts ohne die Online-Überweisung iDEAL, in Polen nichts ohne Przelewy24. Franzosen schwören auf ihre Cartes Bancaires, während die Schweden eifrig mit ihrem Smartphone „swishen“. Dagegen ist das Geschäft in den USA beinahe einfach, denn in Nordamerika reichen Kreditkarten und PayPal fast aus, um die Zahlungswünsche der Kunden zu bedienen. In China hingegen dominieren Alipay und WeChat Pay den Markt, kaufen und bezahlen geschieht häufig nur noch mobil.


Denken Sie groß, überschreiten Sie Grenzen!


Paymentstrategie #1

Um international zu wachsen, suchen Sie sich einen starken Payment-Service-Provider. Am besten unabhängig, damit Sie in jedem Land die besten Acquirer-Konditionen nutzen können. Und mit globaler Reichweite – damit Sie nicht nach den ersten Erfolgen an regionalen Grenzen der Zahlungsabwicklung stehen bleiben.

Wer sich als leistungsstarker stationärer Händler etabliert hat, ist in der Regel auch online aktiv. Der Webshop gehört heute ganz selbstverständlich dazu und ist schon lange nicht mehr nur digitale Visitenkarte, sondern Umsatzträger. Aus Kundensicht ist er jedoch die digitale Verlängerung des Ladengeschäfts, und damit Teil der Marke. Entsprechend wird Durchlässigkeit zwischen den Absatzkanälen erwartet: Nicht vorrätige Stücke online nach Hause bestellen, aber im Laden mit der Präsenzware bezahlen. Rückgaben nicht im Paket zurückschicken, sondern im Laden abgeben und die Zahlung zurückbuchen. Auf dem Heimweg mobil gekaufte Artikel im Geschäft mitnehmen.

Das muss die ERP-Software erstmal beherrschen – und das Payment auch. Gut, wenn Zahlungen vom Webshop und von den POS-Terminals über eine einzige Zahlungsplattform abgewickelt werden. Denn nur so können Zahlungen kanalübergreifend bearbeitet und ausgewertet werden.

Fallbeispiel
Mit rund 1 000 Niederlassungen in 13 europäischen Ländern und den USA entschied sich die große deutsche Autovermietung Sixt für die Umstellung auf eine Omnichannel-Lösung.

Anstelle national unterschiedlicher Kartenlesegeräte werden die Zahlungen von ca. 3 500 Terminals jetzt über die einheitliche Plattform Computop Paygate abgewickelt.

Auch das Online-Geschäft und Bestellungen über mobile Geräte wurden integriert, sodass der Zahlungsverkehr jetzt standardisiert über eine einzige Anbindung ausgeführt und analysiert werden kann.

Paymentstrategie #2

Um Absatzkanäle zu verbinden, achten Sie darauf, dass Ihr Payment-Service-Provider nicht nur POS, E-Commerce und MOTO beherrscht, sondern diese auch über eine gemeinsame Plattform abwickelt. Sonst haben Sie zwar einen einzigen Dienstleister, können aber trotzdem nicht zwischen Store und Web interagieren.

Supranationale Filialisten haben erfolgreiche Ladengeschäfte in mehreren Ländern, oft sogar über die Grenzen der Kontinente hinweg. Und sie kennen den Schmerz des bargeldlosen Zahlens: Jedes Land hat seine eigenen Kartennetzwerke und Terminalprotokolle. Historisch gewachsen und heute eine Last. Die Folge: eine Vielzahl von Schnittstellen, Terminaltypen, Datenformaten. Dank internationaler Kreditkarten können Kunden in fast jedem Land mit VISA, MasterCard, American Express oder Diners bezahlen – doch die Abwicklung dahinter ist ein Urwald an Anbindungen und Protokollen, vor allem, wenn lokale Debitkarten hinzukommen, die man für eine gute Konversion braucht.

Paymentstrategie #3

Machen Sie sich unabhängig von nationalen Standards. Erfolgreiche internationale Händler konzentrieren sich auf einen einzigen Terminaltypen, das senkt Kosten in Einkauf, Training und Wartung. Alle Terminals werden von einem Server aus gesteuert und senden ihre Transaktionen über eine einheitliche Plattform jeweils zum günstigsten Domestic Acquirer für die Region. Das spart Kosten und erleichtert den Überblick. Mit dem Datentransfer nach PCI P2PE-Standard steigt zudem die Sicherheit deutlich.
Fazit: Denken Sie groß, überschreiten Sie Grenzen! Aber richten Sie Ihr Payment von vornherein so ein, dass es Ihr Wachstum nicht behindert, sondern unterstützt. //

 

 

Autorenvita: Henning Brandt

 

 

 

Der Text ist unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DE verfügbar.
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Omnichannel-Strategien für den Retailhandel mit Zukunft

Von 52 000 Bekleidungshändlern am Anfang des Jahrtausends sind bis heute nur 17 000 übrig geblieben, dies verdeutlicht die Dramatik des Wandels.

von Dr. André Claassen

Stärker als jemals zuvor befindet sich die Welt des Handels heute in einem massiven Umbruch. Der demografische Wandel, der immer mehr Digital Natives zu kaufkräftigen Kunden macht, die steigende Anzahl der Sortimente, die heute online angeboten werden, aber auch die insgesamt einfachere Prozessabwicklung bei Bezahlsystemen sowie eine schnellere logistische Abwicklung lassen in einigen Sortimentsbereichen, wie z. B. im Bereich der Bekleidung, den Anteil des Onlineverkaufs auf mehr als ein Drittel ansteigen.

Die Tatsache, dass von 52 000 Bekleidungshändlern vom Anfang des Jahrtausends heute nur noch knapp 17 000 übrig geblieben sind, verdeutlicht die Dramatik des Wandels gerade in diesem Bereich. Im Schwerpunkt haben Filialisten und Hersteller die Lücke geschlossen und bei nahezu gleichem Umsatz von ca. 60 Mrd. Euro hat sich die Abverkaufsmenge verdoppelt. Dabei wurden die Flächen des Handels im gleichen Zeitraum um ca. 14 Prozent auf 124 Mio. m² ausgebaut und die Lagerflächen haben sich seit 2003 verdreifacht.

Dies führte zu einem kontinuierlichen Verlust der Flächenproduktivität im Einzelhandel bei weiterhin fallender Besucherfrequenz in den vergangenen drei Jahren. Es ist davon auszugehen, dass dies mit einem massiven Abbau der Flächen in Randlagen der Großstädte einhergehen und zu einer weiteren Reduktion der B-Flächen der Klein- und Mittelstädte führen wird, während die 1a-Flächen weiterhin umkämpft bleiben. Die seit Jahren sinkenden Mieten in den B-Flächen können diese Entwicklung nicht aufhalten und rechtfertigen nicht den Erhalt dieser Infrastrukturen.

Insgesamt wird dies die Konsolidierung im Einzelhandel bei den etablierten Marktteilnehmern massiv beschleunigen, da diese in ihren gewachsenen Strukturen in puncto Organisation, Geschäftsmodell und etablierter Prozesse zu lange verharren, eröffnet aber gleichermaßen Raum für neue Konzepte, die von Beginn an die technologischen Möglichkeiten als Chance sehen, unabhängig vom Ort der Einkaufstransaktion online oder im Store. So hat sich die Eingangstür des Handels von den Geschäftsstraßen in die Mobiltelefone der Endkonsumenten verschoben. Zukünftige Handelskonzepte werden in naher Zukunft komplett digitalisiert sein und alle verfügbaren Abverkaufskanäle gleichermaßen bedienen.

Omnichannel-Strategie: Der Rahmen für das zukünftige Handeln

Die Erreichbarkeit des Endverbrauchers wird weiterhin zentraler Fokus der Handelsaktivitäten sein. Dabei spielt die Verankerung der Marke im Kopf des Verbrauchers und damit die Begehrlichkeit des Produktes eine noch stärkere Rolle als bisher. Die Faktoren Authentizität der Marke, Einhaltung des Serviceversprechens und damit Kontrolle der Abverkaufskanäle in Bezug auf Marktpositionierung sowie die „Brand Experience“ werden als Marktdifferenzierer in einer gänzlich digitalisierten Handelswelt immer wichtiger.

Die Unternehmen, die den End-Konsumenten mittels Sammlung dessen persönlicher Daten „besitzen“, seine Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Lebensumstände kennen und diese bestmöglich über seine bevorzugten Abverkaufskanäle bedienen, werden weiterhin die großen Gewinner sein. Dabei ist nicht nur entscheidend, wo die eigentliche Verkaufstransaktion getätigt wird, sondern auch die Anbahnung sowie die Abfolge einer solchen – also die komplette „Customer Journey“ eines Kunden.

Ist erst die Marke und damit das Produkt beim Verbraucher in den Köpfen verankert, so ist es wichtig, die digitalen und physischen Frequenzzonen des Kunden zu besetzen und die Produktverfügbarkeit sowie die personalisierte Ansprache des Kunden und somit den Kunden an sich in das Zentrum aller Aktivitäten des Unternehmens zu stellen. Der physische Store wird in Zukunft genauso digitalisiert sein und dieselben Auswertungsmöglichkeiten bieten wie jede Website. Angefangen von der Verweildauer eines Kunden vor dem Geschäft über das Content- und Service-Management im Store bis hin zur Promotion und personalisierten Angeboten für den Kunden.

Abbildung 1 zeigt die Möglichkeiten eines digitalisierten Stores zur Erfassung des Konsumenten über das Mobilgerät / die WiFi-Technologie und die automatische Identifikation der Ware durch RFID. Hieraus ergeben sich Möglichkeiten für die Datenauswertung (Laufwege, Verweildauer), Effizienzsteuerung (Echtzeit-Bestandgenauigkeit etc.) und Generierung zusätzlicher Services. All dies und weitere zukünftige technologische Entwicklungen werden das Storegeschäft nachhaltig verändern und die Grenzen zwischen den einzelnen Abverkaufskanälen auflösen.

Abb. 1: Möglichkeiten eines digitalisierten Stores zur Erfassung des Konsumenten

Die Digitalisierung des Unternehmens beschränkt sich nicht nur auf die rein prozessualen Abläufe, sondern erstreckt sich auch auf die Digitalisierung von Produkten, Dienstleistungen, Werbemitteln etc. und das Testen neuer Geschäftsmodelle. Diese neuen Geschäftsmodelle können zum einem aus der engeren Verzahnung mit Kooperationspartnern resultieren, zum anderen aber auch aus der engen Verbindung mit und ganzheitlichen Betreuung des Kunden. Dabei sollten diejenigen Aktivitäten im Vordergrund stehen, die der jeweiligen Zielgruppe den größten Nutzen bringen.

Omnichannel-Prozesse sorgen für die Verschmelzung der Kanäle

Maßgeblich für die Verzahnung über die verschiedenen Abverkaufskanäle hinweg sind sogenannte Omnichannel-Prozesse. Dabei handelt es sich um Prozesse, die mindestens zwei oder mehr Abverkaufskanäle verbinden. Eine Grundvoraussetzung für den reibungslosen Ablauf ist das Verschmelzen organisatorischer Strukturen zwischen den jeweiligen Kanälen und die Etablierung von End-to-End-Prozessen. Dabei binden die Prozesse den Kunden in die Abläufe des Unternehmens mit ein und unterstützen diesen bei seiner „Customer Journey“.

Es empfiehlt sich, die Customer Journey aus Sicht des Kunden zu definieren. Ausgehend von sogenannten „Customer Touchpoints“, also Kundenkontaktpunkten, werden die möglichen Interaktionen und Prozessvarianten sowie Inhalte und Informationen für den jeweiligen Kundenfall festgelegt. Basierend auf diesen Ausgangspunkten werden nun alle Prozessstrecken bis in die warenwirtschaftlichen und logistischen Backend-Prozesse aufgesetzt.

Abbildung 2 gibt eine Übersicht über die verschiedenen Abverkaufskanäle eines Omni­channel-Händlers und die möglichen Interaktionen mit dem Kunden. Die Prozessliste berücksichtigt den „Customer Touchpoint“, also den Kontakt des Kunden mit dem Unternehmen, und die Zuordnung zum jeweiligen Abverkaufskanal.

Abb. 2: Übersicht über die verschiedenen Abverkaufskanäle

Basierend auf neuen technologischen Möglichkeiten unterliegen die aufgelisteten Prozesse starken Veränderungen. Der Umsatzanteil der tatsächlichen Omnichannel-Käufe bewegt sich bei den meisten Händlern, die überhaupt solche Prozesse zur Verfügung stellen, unter 3%. Diesen Unternehmen fehlt die notwendige Erfahrung, in welchem Umfang die Prozesse von Kunden tatsächlich angenommen werden. Jedoch ist es wichtig, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Erfahrungen zu machen, um die Prozesse kontinuierlich für den Kunden zu verbessern, Incentives und KPIs für Mitarbeiter kanalübergreifend anzupassen und technologische Verbesserungen durchzuführen.

So kann die Prüfung der Warenverfügbarkeit je nach Omnichannel-Prozess und Sortimentsstruktur beliebig komplex sein. Angefangen von der organisatorischen Zuordnung der Warenbestände über die physische Verteilung (Lager, Verkaufsraum, Lieferantenlager) bis hin zur Bestandsfreigabe müssen alle Szenarien regelbasiert definiert werden. Dies hat nicht nur starken Einfluss auf die Frontend- und Backend-Prozesse, sondern führt auch zu einer neuen Kennzahlensteuerung im Unternehmen. Allein die Verschiebung von Fixkosten hin zu variablen Transaktionskosten in einem Omnichannel-Unternehmen bedarf einer neuen Kennzahlensteuerung.

Mit der Veränderung des Geschäftsmodells hin zu einem Omnichannel-Retailing verändern sich nicht nur die Prozesse des Unternehmens, sondern auch die Anforderungen an die technologische Plattform. Neben der nahtlosen Integration unterschiedlichster Verkaufssysteme (E-Commerce, Kasse, Mobile, CRM und Marketing) und der Backendsysteme (WAWI, Lager und Logistiksysteme) muss die technologische Plattform alle Datenpunkte der „Customer Journey“ – egal ob im Store oder auf der Website – verarbeiten können. Dies führt zu einer massiven Erhöhung des Datenvolumens und aufgrund der verstärkt auftretenden Parallelaktivitäten müssen diese Volumina in Echtzeit verarbeitet werden.

Grundlage für die Transparenz über die „Customer Journey“ und die Erzeugung der 360-Grad-Sicht auf den Kunden ist die eindeutige Identifizierung des Kunden über sein Mobiltelefon. Erstmalig in der Geschichte des Filialhandels wird dabei die Anonymität des Kunden nicht durch menschliche Interaktion aufgelöst, sondern durch automatisierte Erkennung. Dies gilt auch für die eindeutige und automatisierte Identifikation eines Artikels. Während durch die Einführung des Barcodes Effizienzen bei der Erfassung erzielt wurden, können durch die Transpondertechnologie Ware, Zeitpunkt und Ort automatisiert und ohne physischen Eingriff erkannt werden.

Abbildung 3 zeigt die Verschmelzung der physischen mit der digitalen Welt durch die geschlossenen Kunden- und Produktkreisläufe und deren Integration in die technologische Plattform.

Abb. 3: Verschmelzung der physischen mit der digitalen Welt

Gerade für die Großformen des Handels ergeben sich damit ganz neue Möglichkeiten der Kundenansprache und Effizienzsteigerung. Jedoch erzeugen beide Kreisläufe so viele Datenpunkte, dass die heute vorhandenen technologischen Infrastrukturen in den wenigsten Fällen in der Lage sind, diese zu verarbeiten. Eine Umstellung der in großen Teilen auf das Filialgeschäft ausgerichteten und wenig integrierten Plattformen auf eine Omnichannel-Plattform, welche die zukünftigen Geschäftsmodelle abdeckt, bedeutet für die meisten Unternehmen eine sehr lange und aufwendige Transformation.

Unternehmenstransformation: Umzug statt funktionaler Systemaustausch

Das Verharren in alten Strukturen und die Hoffnung, dass Frequenz- und Umsatzrückgänge nur auf das Wetter und saisonale Fehldispositionen zurückzuführen sind, werden dem Handel in der jetzigen strukturellen Umwälzung nicht weiterhelfen. Auch eine funktionale Erweiterung der in den meisten Fällen bestehenden Plattformen bzw. eine Prozessergänzung oder das Digitalisieren einzelner Filialen wird zwar kurzfristig beruhigen, aber weiterhin Probleme bedingt durch organisatorisches Silodenken, fehlende End-to-End-Prozesse, fehlende übergreifende Kennzahlen und Controlling-Konzepte, intransparente Warenbestände sowie unzulängliche Softwarearchitektur offenlegen.

Maßgeblich für den Erfolg ist die Transformation auf allen Ebenen. Ausgehend von der Strategie sollte das neue Geschäftsmodell die neuen Prozesse end-to-end nachziehen, und dies auf einer technologisch voll integrierten Plattform. Dabei ist der Umzug – raus aus den alten Strukturen – in ein neues Haus (technologische Plattform) schneller, mindert die Komplexität und kann im Rahmen einer abgestuften Einführungsstrategie risiko­minimierend aufgesetzt werden. Ohne ein konsequentes End-to-End-Prozessdenken sind Omnichannel-Transformationen zum Scheitern verurteilt. Die Einführung neuer Geschäftsmodelle sollte nicht funktional geschnitten, sondern organisatorisch sein.

Ausblick: Vertikalisierung und Innovationsgeschwindigkeit nehmen zu

Die Notwendigkeit zur Anpassung sowie das Tempo, in dem diese Transformation erfolgen muss, waren nie größer. Der starke Fokus auf den Endkonsumenten wird weiter zunehmen. Das liegt zum einen daran, dass gewachsene Handelsstrukturen größtenteils wegbrechen werden und sich die Hersteller aus fast allen Branchen überlegen müssen, wie sie zukünftig ihren Kundenzugang und Absatz gestalten. Die Vertikalisierung, die es schon seit Anfang der 90er-Jahre in der Bekleidungsindustrie gibt, wird nun gemeinsam mit der Digitalisierung auf alle Segmente übertragen. Dabei werden sich sowohl der Zugang zum Kunden als auch komplette Wertschöpfungsketten verändern.

Dies kann so weit gehen, dass zukünftige Individualprodukte im Laden direkt gefertigt werden und der ehemalige Verkaufsraum als eine Mischung aus Showroom, Logistik und Produktionsraum deutlich mehr Funktionen abdecken muss, als es heute der Fall ist. In den „Customer-facing“-Prozessen werden sich administrative Prozesse, wie z. B. der Kassenprozess, komplett automatisieren und im Hintergrund ablaufen. Prozesse mit hohem Mehrwert für den Endverbraucher werden maßgeblich das Einkaufserlebnis in der Filiale mitprägen und zelebriert werden.

Die Effizienzgewinnung durch Digitalisierung wird in den Sortimenten des täglichen Bedarfs entscheidend sein. Durch das Thema IoT (Internet of Things) stehen hier weitere Innovationen (Kühlschrank übernimmt den Einkauf des täglichen Bedarfs) in den Startlöchern, die die klassischen Handelsstrukturen weiter auflösen werden. Der Omnichannel-Gedanke und somit die Verschiebung der Eingangstür des Handels wird beim Mobiltelefon nicht haltmachen und sich in die Häuser der Kunden verlagern (Beispiel Amazon Alexa).

All das birgt riesige Herausforderungen für die gewachsenen Einzelhandelsstrukturen, jedoch noch mehr Chancen für neue Geschäftsmodelle und Absatzmöglichkeiten. Entscheidend für den Erfolg ist die Fokussierung auf den Kunden und die Geschwindigkeit der Transformation. Technologische Hürden in Form von fehlenden Standards, eines mangelnden Reifegrads von Technologien oder bei der Verarbeitung von Massendaten sind leichter zu bewältigen, als die Veränderung der eingefahrenen Organisationsstrukturen und -prozesse.//

 

 

Autorenvita: Dr. André Claassen

 

 

 

Der Text ist unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DE verfügbar.
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Digitale Ökosysteme im Handel der Zukunft

Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für den Handel

von Donald Badoux

Die Digitalisierung verändert unsere Welt. Wie sehr, erfahren wir nicht zuletzt in unserem Alltag: Schon längst sind unsere Handys keine einfachen Telefone mehr. Aus dem „Phone“ wurde das „Smartphone“; aus dem „TV“ ein „Smart TV“. Doch nicht nur unsere Geräte werden „smarter“, sondern auch die damit verbundenen Dienstleistungen. Durch die Verknüpfung von Technologien, Dienstleistungen und Daten entstehen intelligente digitale Dienste, die Nutzer maßgeschneidert und zeitnah erreichen, sogenannte „Smart Services“.

Diese digitalen Dienstleistungen sammeln und analysieren Daten mithilfe vernetzter, intelligenter, technischer Systeme und Plattformen. Dabei entstehen Informationen und Wertangebote, die wiederum über digitale Marktplätze und Schnittstellen vermarktet werden. Smart Services brechen außerdem klassische Wertschöpfungsketten auf und optimieren Prozesse. Sie helfen, Ressourcen effizienter einzusetzen, Kosten zu reduzieren und Ergebnisse zu verbessern.

Auch wenn wir es häufig gar nicht spüren, prägen diese digitalen Dienstleistungen unseren Alltag in unzähligen Bereichen. Sie alle haben jedoch eines gemeinsam: Sie sind kunden- und nutzenorientiert und stehen dem Anwender idealerweise zu jeder Zeit, an jedem Ort, über jedes Gerät zu Verfügung. Künftige Anwendungsszenarien sind heute oft nur zu erahnen. Sie werden aber beispielsweise von der datenbasierten Optimierung landwirtschaftlicher Produktion über eine bessere Steuerung der städtischen Infrastruktur, neuartige Bildungsangebote, verbesserte Logistiklösungen bis hin zu maßgeschneiderten Energie-Lösungen viele Bereiche unseres Lebens berühren.

Digitale Dienstleistungen im Handel

Während Katalogbestellungen oder Teleshopping die Entwicklung des Handels in den letzten Jahrzehnten maßgeblich beeinflussten, hat der Online-Handel diese einst innovative Nische längst zu einem der größten Marktplätze – dieses Mal in der digitalen Sphäre – weiterentwickelt. Die digitale Disruption ist tiefgreifend und erschüttert die Branche in ihren Grundfesten. Erfolgreich sind künftig die Unternehmen, die verstehen, dass es hier um eine Revolution im Handel geht und nicht nur um kleine Veränderungen, die sich aussitzen lassen. Die Konsequenzen ziehen sich bis hin zu einem neuen Umgang mit Kunden und Mitarbeitern.

Nach der funktionierenden Technologie und der umfassenden Digitalisierung kommt wieder der Mensch. Er steht auch für den Handel der Zukunft im Zentrum. Hier kommen Smart Services ins Spiel als digitale Dienstleistungen, die auf der Basis vernetzter, intelligenter technischer Systeme und Plattformen Daten aggregieren und analysieren. Umgekehrt steigen die Erwartungen und Ansprüche von Konsumenten mit der zunehmenden Anzahl an Möglichkeiten, sich online zu informieren und einzukaufen.

Händler müssen Verkaufsprozesse deshalb noch stärker auf ihre Kunden anpassen und noch besser auf deren Bedürfnisse eingehen können. Um Kunden ein innovatives und maßgeschneidertes Einkaufserlebnis zu ermöglichen, setzen Händler vermehrt auf digitale Dienstleistungen. Auch für die Erschließung neuer Kundensegmente spielen diese eine wichtige Rolle, genauso wie für die Kundenbindung oder die Optimierung von Abläufen. Zu den prozessoptimierenden Dienstleitungen gehören beispielsweise Anwendungen zur Betrugserkennung im Online-Handel. Digitale Treueprogramme, Gutscheine und Bonuspunkte hingegen zielen auf eine langfristige Bindung des Kunden an den Warenanbieter.

Um dieses Smart-Shopping-Erlebnis jedoch anbieten zu können, steht der Handel vor einer großen Herausforderung: Es gilt, das Grundgerüst für digitale Dienstleistungen im Handel überhaupt erst einmal bereitzustellen. Minimalanforderung ist es hierbei, dem Kunden einen performanten Seitenaufbau, sichere Bezahloptionen sowie die Verfügbarkeitsprüfung der Waren online oder in der nächst gelegenen Filiale zu ermöglichen.

 

Infrastruktur der Digitalisierung im Handel

Digitalisierung – Herausforderung oder Chance für Retailer?

Die Digitalisierung stellt den Handel vor eine große Aufgabe. Sowohl organisatorisch als auch im Hinblick auf die eigene IT-Infrastruktur. Das Zusammenführen der Online- und Offline-Welt verlangt zuallererst ein generelles Umdenken innerhalb der Unternehmen: Abläufe müssen umstrukturiert, Prozesse müssen neu gedacht werden, Zuständigkeiten geklärt und Kompetenzen erweitert werden. Dies gilt besonders für den noch weitestgehend analogen Teil des Einzelhandels, bei dem Waren im stationären Handel verkauft werden.

Sollen beispielsweise standortbezogene Dienste – in Form von Apps oder Rabatt-Coupons – Kunden an den Laden um die Ecke verweisen, müssen Online- und Offline-Welt miteinander kommunizieren. Selbiges gilt allerdings auch für Waren- und Lieferketten, die durch Bestellungen aus dem Online-Handel gespeist werden. Eben diese Brücke schlägt eine intelligente und digitale Infrastruktur.

Daraus ergeben sich für viele Unternehmen jedoch neue Herausforderungen. Wer sein Angebot, Verkaufsprozesse etc. auf Kunden abstimmen will, muss zunächst entsprechende Kapazitäten für die Verarbeitung von Daten, also für deren Transfer, die Analyse und Verknüpfung, schaffen. Drei Punkte sind hierbei für den Handel besonders hervorzuheben: die Anbindung an Partner, optimale Performanz sowie Datensicherheit.

 

Künstliche Intelligenz im Handel der Zukunft

Ein Beispiel für eine Technologie, die im Retail zukünftig mit Sicherheit ihren Platz finden wird, ist der digitale Assistent. Anwendungsbeispiele für digitale Assistenten:

• Online-Beratungen;

• Vor-Ort-Gespräche beim Einkauf;

• Problembehebung im Kundendienst simulieren;

• intelligente Umkleidekabinen;

• reale Roboter, die dem Kunden während des Einkaufserlebnisses zur Seite stehen.

Schon heute testen führende Retailer im Bereich Consumer-Electronics, auf welche Weise Roboter mithilfe von künstlicher Intelligenz das Shopping-Erlebnis bereichern, individualisieren und vereinfachen können. Der Roboter, der dem Kunden zur Verfügung steht, hat eine bestimmte Aufgabe. Nehmen wir an, diese sei es, dem Kunden den Weg zu einem bestimmten Produkt zu weisen und über dessen Verfügbarkeit bzw. Alternativen zu informieren. In diesem Fall benötigt der Assistent Zugriff auf eine Fülle an Daten.

Gleichzeitig müssen diese Daten ausgewertet und an den Kunden mit der gewünschten Information zurückgespielt werden. Über Echtzeit-Kommunikation im digitalen Ökosystem kann diese Aufgabe verarbeitet und gemeistert werden. Wichtig ist dabei auch, wie schnell diese Aufgabe bewältigt werden kann und wie stabil und verlässlich das Service-Angebot ist. Hier spielt die digitale IT-Infrastruktur eine wichtige Rolle.

 

Unternehmen sind auf die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmenspartnern, Finanzdienstleistern und Service-Providern angewiesen. Durch eine Basis-Infrastruktur, die als eine digitale Plattform fungiert, werden Echtzeit-Kommunikation sowie die Datenanalyse und -verarbeitung ermöglicht. Die digitale Plattform umfasst die komplette Lieferkette sowie Content-Anbieter, Big-Data-Unternehmen, Blockchain- oder Payment-Provider. Um den Weg für die Digitalisierung zu ebnen, müssen zentrale IT-Infrastrukturen dezentralisiert werden oder sogenannte „Performance- und Data-Hubs“ aufgebaut werden, die zur Unterstützung der zentralen IT herangezogen werden. In Reaktion auf den wachsenden überregionalen und globalen Handel wird es für viele Retailer außerdem immer wichtiger, eine Multicloud-Infrastruktur zu etablieren, um Echtzeit-Kommunikation mit Partnern sicherzustellen.

Diese ermöglicht die Vernetzung mit Partnern über standortunabhängige Kanäle. Sei es über eine Anbindung an die Cloud-Provider oder über direkte Verbindungen mit den Partnern, sogenannte „Interconnections“, in externen Rechenzentren. Das Smart-Shopping-Erlebnis wird vor allem von einem schnellen und störungsfreien Datentransfer bestimmt. Nur wenn Kunden, unabhängig von ihrem Standort, einen stabilen und reibungslosen Zugang zu den digitalen Dienstleistungen oder der jeweiligen Plattform eines E-Commerce-Unternehmens haben, können sie langfristig gehalten werden.

Hinzu kommt als dritter und gleichsam wichtiger Faktor der Aspekt der Sicherheit. Je nach Schwerpunkt des Marktteilnehmers lassen sich zwei Ebenen unterscheiden. Konsumenten beispielsweise, die digitale Zahlungsmethoden nutzen und den Unternehmen ihre Daten freiwillig bereitstellen, verlangen ein hohes Maß an garantierter Datensicherheit. Das heißt, dass insbesondere in der Kommunikation zwischen Händlern, Service-Providern und anderen Partnern, Daten zu jeder Zeit des Austauschs sicher und für andere nicht autorisierte Akteure unzugänglich und geschützt bleiben.

Die zweite Ebene der Sicherheit umfasst die Ausfallsicherheit und physische Sicherheit des IT-Equipments. Der Handel ist auf einen reibungslosen Ablauf und stetigen Zugriff auf Waren und Leistungen angewiesen. Fallen Systeme aus, etwa durch technische Probleme, geschieht dies zu Lasten des Umsatzes und kann dazu führen, dass Kunden sich abwenden. Unternehmen müssen daher unbedingt Vorkehrungen treffen, um Ausfälle zu vermeiden, und durch Back-ups oder Spiegelungen sicherstellen, dass ein Ausfall an einer Stelle keine Auswirkung auf das Gesamtsystem hat.

Digitale Ökosysteme als Grundlage für den Handel der Zukunft

In den seltensten Fällen liegt die Lösung für all diese Herausforderungen in der bestehenden IT-Infrastruktur. Stattdessen sollte die eigene IT anhand eines digitalen Masterplans umgebaut werden. Digitale Ökosysteme sind wichtiger und integraler Bestandteil dieser neuen und dynamischen Infrastruktur. Angelehnt an das natürliche Ökosystem, dessen Teilnehmer im Einklang miteinander im selben Umfeld agieren, umfasst das digitale Ökosystem alle digitalen Teilnehmer.

Führende Technologieunternehmen sind hierfür gute Beispiele. Obwohl ihre Ökosysteme noch in sich geschlossene Systeme darstellen, bestehen sie schon heute aus einer Vielzahl an Komponenten, die miteinander verzahnt sind. Durch die Nutzung digitaler Ökosysteme ist es möglich, das Angebots­portfolio am Kunden auszurichten und neue Services anzubieten.
Ökosysteme entstehen durch die digitale Interaktion von Marktteilnehmern untereinander. Konnektivität und die direkte Verbindungsmöglichkeit, die sogenannte Interconnection, bilden die Grundvoraussetzung für ein digitales Ökosystem.

Durch sie können Partner performant und kosteneffizient erreicht und integriert werden. Unternehmenseigene IT-Infrastrukturen können dies jedoch häufig nicht leisten. Da Unternehmen ihre Ressourcen vor allem für das Kerngeschäft einsetzen, entscheiden sich immer mehr Unternehmen dazu, die Bereitstellung, Pflege und Weiterentwicklung neuer, dynamischer IT-Infrastrukturen in Rechenzentren auszulagern und die Expertise externer Anbieter in Anspruch zu nehmen. All jene Herausforderungen, die den digitalen Wandel im Handel maßgeblich prägen, können mithilfe der dynamischen Infrastruktur, eingebettet ins digitale Ökosystem, gemeistert werden.

 

Erfolgsfaktoren digitaler Ökosysteme
Die Vorteile digitaler Ökosysteme auf einen Blick:
Ökosysteme bauen eine größere Nähe zu Kunden auf und ermöglichen die Realisierung sicherer und performanter Verbindungen.
Damit tragen sie direkt zur Förderung des Unternehmenswachstums, national sowie international, bei.
Digitale Ökosysteme garantieren verschiedene Ebenen von Sicherheit.
Sie sind gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Flexibilität, Agilität und Skalierbarkeit.
Diese Skalierbarkeit wiederum erlaubt es, ständig wachsenden Anforderungen in Bezug auf Dynamik, Geschwindigkeit und steigende Datenmengen gerecht zu werden.
Sie ermöglichen die Bereitstellung von Services zu jeder Zeit, an jedem Ort und erhöhen die Kundenzufriedenheit.

 

Die Vorteile digitaler Ökosysteme im Handel

Der große Vorteil digitaler Ökosysteme für digitale Dienstleistungen beschränkt sich aber nicht nur auf die Möglichkeit zur Verbindung mit Marktteilnehmern, sondern äußert sich auch darin, dass Verbindungen in ganz andere Branchen möglich sind, zum Beispiel zu Ad-Agenturen, Data-Analytics oder Ähnlichem. Wichtig ist auch: Den Verbindungen innerhalb digitaler Ökosysteme, genauso wie zwischen verschiedenen Ökosystemen, sind keine Grenzen gesetzt. Unternehmen müssen also nicht nur Teil eines einzigen Ökosystems sein, sondern können vielen verschiedenen Ökosystemen beitreten.

Im Übrigen profitieren nicht nur global agierende Unternehmen von digitalen Ökosystemen. Im Gegenteil: Digitale Ökosysteme eröffnen kleinen und mittelständischen Unternehmen viele Möglichkeiten, mit globalen Marktbegleitern mitzuhalten. So können auch kleine Unternehmen ihre Reichweite global erweitern.

Zukunftsperspektiven

Insgesamt bieten digitale Ökosysteme unzählige neue Chancen und Möglichkeiten: kurze Wege zu Partnern, Kunden, Anbietern und Mitarbeitern sowie die Realisierung effizienter und skalierbarer Verbindungen. Unternehmen, die diese Chancen voll ausschöpfen wollen, müssen vor allem eines: sich darauf einlassen. Nur dann kann ein wichtiger Grundstein für die digitale Transformation gelegt werden. Dies gilt besonders – nicht aber ausschließlich – für den Handel, sondern für alle Branchen, in denen digitale Dienstleistungen zur Anwendung kommen.

In Zukunft wird es im „Ökosystem Handel“ keinesfalls nur die klassischen Teilnehmer geben. Stattdessen bilden sich bereits heute Verbindungen in andere Bereiche: Künstliche Intelligenz oder Machine-Learning sind hierfür Beispiele. Künftig wird das Zusammenspiel für alle Marktteilnehmer des Handels immer wichtiger. Parallel dazu wird auch die Bedeutung von Ökosystemen zunehmen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass digitale Ökosysteme auch weiterhin wachsen werden: Mehr Partner können in das System eintreten und sich vernetzen, neue Technologien werden in dessen Rahmen zur Anwendung kommen.

Vor allem aber zeichnen sich digitale Ökosysteme dadurch aus, dass sie unbegrenzte Möglichkeiten bieten, um Ideen von morgen schon heute zu verwirklichen. Mithilfe eines digitalen Masterplans lassen sich durch die Nutzung digitaler Ökosysteme zukunftsfähige Infrastrukturen entwickeln, die ambitionierte Teilnehmer des Handels in die digitale Ära befördern. Digitale Ökosysteme bringen Zukunft und Handel zusammen. //

 

Kontakt zum Autor Donald Badoux

 

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Wissen, was der Kunde will

Die Bedeutung des Mobile Marketing für den innerstädtischen Handel

von Prof. Dr. Gerrit Heinemann
und Frederic Handt

Wie sieht die Zukunft des stationären Handels und der Innenstädte aus? Im fünften Jahr in Folge befragte die Hochschule Niederrhein in der „Großen Handels-Studie“ mehr als 2 000 Verbraucher nach ihrem Smartphone- und Einkaufsverhalten. Die aktuelle, repräsentative Erhebung im Auftrag von Bonial Deutschland (www.bonial.de) und des Handelsverbands Deutschland (HDE) zeigt: Die Erwartungen an das digitale Angebot von Einzelhändlern in Innenstädten sind groß. Die Nutzung des mobilen Internets hat eine herausragende Bedeutung erlangt – bei der Shopping-Vorbereitung und der Frequenzgenerierung des innerstädtischen Handels.

Smartphone hat Schlüsselrolle für die Zukunft des stationären Handels

Eine Schlüsselrolle für den aktuellen „Wandel im Handel“ spielt zweifelsohne das Smartphone. Bereits mehr als 83 Prozent der erwachsenen Deutschen sind im mobilen Internet unterwegs und möchten ihre Einkäufe vor Ort über Mobiles oder Tablets vorbereiten. Dieses zeigt eindrucksvoll das digitale Universum in 2017 (vgl. Abbildung 1). Die Mehrheit der Non-Food-Einkäufe folgt bereits diesem Muster, Tendenz steigend – auch für Lebensmittel. Produkte und Angebote des Handels sollten daher unbedingt in mobil-optimierter Form zur Verfügung gestellt werden. Shopper bevorzugen dabei interaktive Werbeplattformen, die 34 % der Kunden mindestens einmal pro Monat über die App und 27 % über die Website abrufen. Die hier präsentierten Inhalte sollten vor allem Preis (86 %) und Verfügbarkeit (72 %) sein.

Abb. 1: Digitales Universum in 2017; Darstellung: Heinemann 2018 auf Basis „kaufDa-Studie 2017“

Die Studie zeigt auch: Die Nutzung des Mobile Web als Einkaufshelfer ist heute für fast alle Kunden und Altersgruppen relevant. Darin liegt eine große Chance, zumal dunkle Wolken für den innerstädtischen Handel sowie insbesondere den kleinen und mittelständischen Händler aufziehen. Deswegen führt für den stationären Handel kein Weg daran vorbei, im Netz präsent zu sein. Wer sich am Markt behaupten will, muss auf jeden Fall prüfen, ob er selbst in den Online-Handel einsteigt, was sicherlich viele Händler überfordert. Es muss auch nicht immer gleich ein eigener Online-Shop gelauncht werden. In jedem Fall aber sollte jeder Händler zumindest im Internet auffindbar sein. Dazu bieten Location-based Services oder App-basierte Werbeplattformen wie kaufDA hervorragende Lösungen, die nachweislich von den Kunden honoriert werden.

Gründe für den Innenstadt-Einkauf

Hauptanlass für das Aufsuchen der City ist demnach, ein bestimmtes Produkt zu benötigen und dieses gezielt zu besorgen. Das geben 48 Prozent und damit fast die Hälfte der Kunden als Grund für einen Innenstadtbesuch an. Demgegenüber ist der Innenstadtbummel nur für 28 Prozent und damit gut ein Viertel der Kunden Anlass für den Besuch der City. Dieses widerspricht der These, dass der innerstädtische Handel überwiegend von Erlebniskäufern lebt und verdeutlicht das Risiko, dass vor allem Bedarfskäufe stark vom Online-Kauf substituierbar sind. Letzterer ist in der Regel bequemer für die Kunden. Deswegen dürfen Städte den Convenience-Aspekt nicht vernachlässigen – also die Erreichbarkeit, Zuwegung und das Parkplatzangebot.


Vom stationären Handel erwarten die Kunden neben dem Einkaufserlebnis vor allem eine exzellente und individuelle Beratung.


Geht es um den Einkaufsbummel und damit Freizeitbeschäftigung, steht der Innenstadtbesuch zwar auch in Konkurrenz zum „Freizeitsurfen im Internet“, jedoch auch im Wettbewerb mit anderen Freizeitaktivitäten, die Städte stärker auf den Schirm nehmen sollten („Städte als Freizeitparks“). Vom stationären Handel erwarten die Kunden neben dem Einkaufserlebnis vor allem eine exzellente und individuelle Beratung. Dieses gilt vor allem für Kunden über 50, die auch die Ware im Geschäft anfassen und ausprobieren möchten. Vor allem für spezialisierte, kleinere Händler geht es darum, den persönlichen Kontakt zum Kunden zu pflegen und einen perfekten Service abzuliefern. Der viel diskutierte Beratungsklau ist diesbezüglich ein überschätztes Thema, denn nur bei 1,4 Prozent aller Einzelhandelsausgaben informieren sich die Kunden zuvor im stationären Handel.

Der umgekehrte Weg findet erheblich häufiger statt, nämlich dass sich die Kunden zunächst im Internet einen Überblick verschaffen und dann im Laden vor Ort einkaufen. Vor allem die jüngeren Kunden unter 50 informieren sich für den Kauf in erster Linie über Suchmaschinen, Einkaufsplattformen, Preis- und Produktvergleichsseiten, Blogs sowie Online-Testseiten. Die Mehrzahl der Non-Food-Einkäufe folgt bereits diesem Muster, Tendenz steigend – auch für Lebensmittel. Für die Handelsunternehmen wird es deswegen immer wichtiger, den Kunden die Möglichkeit zur Vorbereitung ihrer stationären Einkäufe zu geben. Darin liegt zweifelsohne auch der Schlüssel zur Rettung der Innenstadt. Deswegen vertieft die aktuelle Zeitreihe auch die Thematik des innerstädtischen Einkaufs sowie der Gründe für den stationären Einkauf, also des „Drive to Store“.

Erwartungshaltung an digitale Angebote der Innenstadt hoch

Grundsätzlich steigt beim Innenstadt-Einkauf die Neigung, sich für den Kauf selbst zu informieren und dazu ein Gerät und/oder eine App zu nutzen (32 %). Bereits rund drei Viertel der Befragten halten die Informationen im Internet für besser. Hier gibt es Handlungsbedarf, um Kunden nicht aufgrund falscher Annahmen an Online-Anbieter zu verlieren. Denn die Erwartungen an digitale Angebote der Innenstadt sind hoch. Knapp die Hälfte (45 %) möchte, dass sämtliche Informationen über Geschäfte in der City online verfügbar sind. Über die Hälfte der befragten Personen würde den Service nutzen, sich nicht verfügbare Waren aus Geschäften der Innenstadt kostenlos nach Hause liefern zu lassen (52 %). Die gleich hohe Anzahl der Befragten denkt, dass die Produktverfügbarkeit der Geschäfte im Internet erkennbar sein sollte.

Nicht gut kommt es allerdings an, wenn Kunden von Händlern via Push-Notifications unaufgefordert über Angebote informiert werden (Ablehnung mit 51 %), auch wenn diese einen lokalen Bezug haben (Ablehnung mit 17 %). Die Erwartungshaltung der Kunden zeigt eindeutig, dass Pull-Angebote für sie attraktiver als Push-Nachrichten sind. Denn 45 % der Befragten möchten sich lieber in Eigenregie via mobiler Endgeräte mit Information versorgen und 43 % der Befragten ärgert es, wenn unaufgefordert Werbung aufgespielt wird (Spitzenantwort), weswegen sogar 20 % Ad-Blocker nutzen. Dieses gilt nicht für segmentierte Push-Nachrichten, die auf Nutzerpräferenzen bzw. -verhalten basieren und das von Retailern gewünschte „Drive to Store“ mit überlegenen Conversion-Rates fördern. Sie werden deswegen auch von Bonial bzw. kaufDA und MeinProspekt genutzt, die auch mit dem Einsatz von Geo-Targeting und Push-Nachrichten eine Ansprache des Kunden in der Nähe eines Marktes ermöglichen.

Die Kunden bevorzugen interaktive Werbeplattformen wie kaufDA, die bereits 34 % von ihnen regelmäßig über die App und 27 % über die Website abrufen (mind. einmal im Monat). Damit kommt der kaufDA-Plattform als Zubringer für den innerstädtischen Handel eine herausragende Rolle zu. Dies verdeutlicht auch den Stellenwert vergleichbarer „pull-orientierter Location-based Services“, welche von den Kunden selbstbestimmt genutzt werden können. Die über diese Kanäle vermittelten Inhalte sollten vor allem Preis (86 %) und Verfügbarkeit (72 %) sein. Deswegen erscheint es unabdingbar, dass stationäre Kunden Angebote in digitaler und mobil-optimierter Form per Mobile abrufen können.

Kunden halten Informationen im Internet für besser und glaubwürdiger

Bereits jeder Fünfte würde es gut finden, wenn alle Händler auf kaufDA abrufbar wären. Fehlendes Wissen über bestehende Location-based Services hält aber 39 % der Kunden noch davon ab, derartige Dienste zu nutzen, obwohl sie bereits ihr Smartphone intensiv zur Kaufvorbereitung einsetzen. Aus Konsumentensicht sprechen demgegenüber viele Gründe für eine intensivere Nutzung des Internets zur Informationsbeschaffung. Rund 82 % „finden im Internet bessere Informationen“. Die Antworten „Das Personal findet nicht die für mich wichtigen Informationen“ (37 %) und „Ich halte das Personal für inkompetent“ (22 %) sowie „Personal nicht entsprechend der Erwartungshaltung von Kunden vorzufinden“ zeigen Handlungsbedarf bei den Beratungskonzepten des stationären Handels auf (vgl. Abbildung 2).

Abb. 2: Neue Kundenerwartungen an Informationen

Die Frage nach den „grundsätzlichen Anforderungen an Händler“ führt zur Erkenntnis, dass „Freundlichkeit/ Zuvorkommenheit“ immer noch an erster Stelle stehen. Darüber hinaus bleiben angemessene Preise, Fachkompetenz und fundierte Informationen wichtig. In der aktuellen Studie findet erstmals die „große Auswahl an (verfügbaren) Waren“ Erwähnung. Offensichtlich hat hier die Auswahl im Internet bereits die Erwartungshaltung der Kunden beeinflusst.
Zusammenfassend ist die Studie ein Fingerzeig für den stationären Handel:
Aus Kundensicht führt kein Weg daran vorbei, im Internet via Pull-Funktion alle relevanten Informationen über das Geschäft zugänglich zu machen, und zwar in Hinblick auf Produktangebot, Warenverfügbarkeit, Öffnungszeiten, Erreichbarkeit und Sonderangebote. Darüber hinaus wünschen die Kunden Liefermöglichkeiten. Dieses gilt auch für die Abholung online ausgesuchter Produkte im Geschäft, die gegenüber 2016 deutlich ansteigt. Eine Herausforderung ist es für stationäre Händler, das schlechte Image der Personalkompetenz zu bewältigen.

Fazit

Marketing hat sich in den letzten zwei Jahren mehr verändert als in den letzten 50. In einer Welt, in der Kunden sich selbst informieren, sind Apps die persönlichen Manager für lokales Einkaufen. Eine Mobile-First-Perspektive ist für den stationären Einzelhandel und für die Frequenz in den Innenstädten daher unerlässlich. Mobile Präsenz und Mobiloptimierung sind weit mehr als ein Nice-to-have: Heute gilt mehr und mehr „Mobile Only“. Für die Handelsunternehmen ist es unerlässlich, den Kunden per Smartphone die Möglichkeit zur Vorbereitung ihrer stationären Einkäufe zu geben. Darin liegt zweifelsohne der Schlüssel zur Rettung der Innenstadt. //

 

 

Autorenvitae: Prof. Dr. Gerrit Heinemann & Frederic Handt

 

Prof. Dr. Gerrit Heinemann

Frederic Handt

 

 

 

 

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Digitalisierung und Marketing

Der Handel diskutiert bereits intensiv über das Thema der Personalisierung und Indivi­dualisierung.

von Prof. Dr. Thomas Asche

Die Dynamik im Marketing ist ungebrochen. Budgets werden immer schneller zwischen Print und Online, Personen und Maschinen, Inhouse und Dienstleistern hin- und hergeschoben. Die digitale Transformation ist Gegenstand zahlloser Kongresse und Veröffentlichungen. Im Handel führt diese Entwicklung dazu, dass sich Unternehmen nicht mehr nur dem stärker operativ geprägten Geschäft widmen dürfen. Handel ist Wandel bedeutet daher auch, sich besonders mit strategisch relevanten Umbrüchen auseinanderzusetzen.

Es gilt also, für die Zukunftssicherheit des Unternehmens sowohl operativ als auch strategisch zu agieren, wobei sich Weiterentwicklungen nicht nur auf das Online-Geschäft konzentrieren sollten. Bei der Frage, wie das Marketing der Zukunft für den Handel aussehen könnte, ist zunächst zu fragen, wie „Zukunft“ abgegrenzt werden soll. Wenn die nahe Zukunft eher eine operative Sichtweise umfasst, dann wäre die darüber hinausgehende Sichtweise eher strategisch. Insofern lässt sich eine gedankliche Matrix aufspannen, deren Felder die Herausforderungen für den Handel strukturieren.

Online-Entwicklungen

Der Handel diskutiert bereits intensiv über das Thema der Personalisierung und Individualisierung. In E-Mails und Newslettern erfolgt i. d. R. eine formelle namentliche Ansprache der Adressaten. Wo noch nicht umgesetzt, wird dies unter Reaktionsaspekten notwendig werden. Zur Individualisierung der Online-Kommunikation gehört auch die Gestaltung zielgruppenspezifischer Inhalte in Newslettern und Homepages. Fortschritte in der Informations- und Produktionstechnologie ermöglichen weiterhin die zunehmende Individualisierung von Produkten (vgl. Gondorf, S. 37). Für den Handel zieht dies eine steigende Sortimentsvielfalt mit der Konsequenz einer höheren Artikelanzahl, mehr Regalfläche und ggf. einen geringeren Warenumschlag nach sich. Die induzierte Heterogenität der Sortimente führt zu einer geringeren Vergleichbarkeit der Preise. Auch bzgl. der Preise wird eine größere Individualisierung festgestellt. Preisverhandlungen aus dem stationären Handel oder Online-Auktionen werden noch stärker in das E-Commerce-Geschäft adaptiert. Willingness-to-pay-Ansätze sind hier weitere Treiber.

Einen weitereren Ansatz bei den Online-Entwicklungen stellen Augmented und Mixed Reality dar. Während bei der Augmented Reality erkennbar zusätzliche Informationen zur Umwelt auf das Mobile Device eingeblendet werden, erweitert die Mixed Reality die Umwelt des Nutzers unbewusst um weitere Elemente (vgl. Schart/Tschanz, S. 21). Neben dem Gaming ergeben sich für den B2B-Bereich und die Kaufberatung im Handel vielfältige Anwendungen. Inwieweit sich diese Technologien auch angesichts einer schon jetzt vorhandenen Informationsübersättigung beim Kunden durchsetzen, bleibt abzuwarten. Andere Nationen sind hier technikaffiner. Auf die Frage in einer GfK-Studie in 2016, ob virtuelle Interaktionen mit Menschen und Orten genau so gut sein können wie reale, wurden folgende Unterschiede festgestellt:
Database-Marketing wird weiter an Bedeutung gewinnen, schon allein, um die User nicht mit undifferenzierten Newslettern zu verärgern. Im Rahmen der Big-Data-Diskussion wird es darauf ankommen, die durch die Customer-Journey produzierte Datenflut sinnvoll auswerten zu können (vgl. Frick, 2016). Das klassische Database-Marketing könnte darunter leiden, weil Selektionen mehr und mehr über die getrackten Nutzungseigenschaften der User laufen werden und sich die User damit quasi selbst segmentieren.

Die Akzeptanz von Virtual Reality ist in Deutschland besonders klein bzw. die Ablehnung von Virtual Reality besonders groß. Hierzulande überwiegen also die Skeptiker.

Offline-Entwicklungen

Kunden erwarten auch offline eine immer schnellere Reaktion von Unternehmen. Hier geht es nicht nur um die tagesaktuelle Kommunikation, z. B. bei Anfragen oder Beschwerden. Eine 48-stündige Belieferung wird vorausgesetzt. Das Angebot einer Same-Day-Delivery wird von vielen Bestellern nicht nur im LEH präferiert. Instant Delivery innerhalb von zwei Stunden wird von Unternehmen bereits getestet. Das von Tankstellen schon seit langem praktizierte Dynamic Pricing wird sich auch im stationären Handel durchsetzen (v. Elm, S. 70 f.).

Durch die Verlagerung der Einzelhandelsumsätze in das Internet werden insbesondere 1b- und 1c-Lagen schrumpfen. Diese Lücken werden zukünftig Pop-up-Stores wesentlich öfter füllen. Pop-up-Stores schaffen Abwechslung und damit Attraktivität in innerstädtischen Lagen. Sie sind ein geeignetes Mittel für Sonderaktionen etablierter Händler oder Warenabschleusungen, ohne das eigentliche Ambiente der Hauptverkaufsfläche zu zerstören. Pop-up-Stores werden weiterhin vom Online-Handel eingesetzt, um physische Präsenz zu zeigen und damit die anonyme Distanz zum Kunden zu überwinden.

Der Handel muss sich kurzfristig zudem mit einer weiteren Vertikalisierung auseinandersetzen. Hersteller sind der neue Handel. Die Macht im Absatzkanal verschiebt sich. Deutlich wird dies an der Zunahme der Shop-in-Shop-Konzepte und Monolabel-Läden. Bislang beschränkt sich die Entwicklung auf Gebrauchsgüter (z. B. Haushaltswaren, Textil, Möbel). Es ist zu erwarten, dass insbesondere Hersteller höherwertiger FMGCs in dieser Richtung aktiv werden.

Online-Trends

Im Rahmen längerfristiger Online-Trends schreitet die Entmenschlichung der Kommunikation fort. Avatare begleiten den Kaufprozess, Chat-Robots beantworten Fragen zu Produkten. Das Internet of Things, bei dem Maschinen mit Maschinen kommunizieren, wird auch den B2C-Bereich erfassen – schon heute erlebbar, wenn der Kühlschrank beim Händler Nachschub ordert. Die Entwicklung zu diesem posthumanen Zeitalter wird notwendig durch die demografische Entwicklung, die aufgrund der Knappheit an menschlichen Ressourcen stärker auf smarte Systeme angewiesen sein wird.

Ein weiterer Trend, den die digitale Transformation unterstützt, ist der Trend zur Shared Economy. Der Wertewandel weg vom Eigentum zum Besitz wird durch eine Vielzahl von Geschäftsmodellen unterstützt, die heute ausprobieren, was morgen alltäglich sein wird. So werden Jeans (www.mudjeans.eu), Kinderbekleidung (www.tchibo-share.de) oder Möbel (www.in-lease.com) usw. verliehen. Das größte Wachstum wird nicht bei den Dienstleistern (z. B. Airbnb, Car2go, Uber) gesehen, sondern beim Handel und Konsumgütern. Da insbesondere Jüngere und damit die Wachstums­treiber diesem Trend offen gegenüberstehen, wird die Branche diese Geschäftsmodelle selbst stärker adaptieren müssen (vgl. PwC, 2016). Ausgenommen bleiben Verbrauchsgüter, individualisierte Produkte und Hygieneprodukte.

Die Globalisierung ist ein weiterer langanhaltender Trend. Nicht nur Unternehmen agieren als Global Player. Der Kunde nutzt ebenso das Netz für ein weltweites Sourcing. Die aktuelle Rechtsprechung fördert diese Machtverschiebung mit dem Verbot des Geoblocking. Vereinheitlichte weltweite Zahlungssysteme tun ein Übriges (Lambertz, Pinhammer, S. 26). Zusätzlich bedrängen internationale Unternehmen den europäischen Handel. Amazon, Alibaba und Rakuten haben weite Teile erobert. Ein letzter weißer Fleck ist Afrika, der auf der Suche nach Umsätzen in den Fokus rückt.

 

Die Absatzkanäle erleben deutliche Marktanteilsverschiebungen. (1)

Offline-Trends

Angesichts der Verschiebung der Marktanteile vom stationären Handel zum E-Commerce stellt sich die Frage nach dessen Profilierung. Ein Überleben kann nur durch eine Kooperation (z. B. intelligente Umkleidekabine, Serviceannahme) oder Omnichanneling gelingen. Der stationäre Handel ist gezwungen, noch viel stärker seine Vorteile (Unmittelbarkeit, Anonymität, Beratung, Haptik) zu kommunizieren. Dabei sollte er nicht den Fehler machen, daraus ein Preispremium abzuleiten. Die notwendigen zusätzlichen DBs kommen aus dem Mengen- und nicht dem Wertwachstum.

Die Konsumerismusbewegung gewinnt aufgrund aufgeklärter Verbraucher weiter an Fahrt. Vor dem Hintergrund eines investigativen Journalismus und kritischer Verbrauchersendungen müssen Werbeaussagen auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden. Das momentan stark diskutierte Influencer-Marketing wird zurückgedrängt. Testurteile und Siegel werden für die Kaufentscheidung dominanter.

Ein dritter Trend betrifft die Nachhaltigkeit. Dessen Ausgangspunkt war die Bio-Welle. Er setzt sich aktuell in der Precycling-Debatte bei (Plastik-)Verpackungen fort. Der Trend wird zukünftig ergänzt durch die stärkere Beachtung des Produktionsstandorts und der damit verbundenen Transportwege sowie die Forderung nach einer Wiederverwendbarkeit bzw. einem Zweitnutzen des Produkts (vgl. Kriener, Grimm, Berg, S. 25 ff.). Der Bezug zur Shared Economy ist offensichtlich.

Das Handelsmarketing hat sich kurz- und langfristig einer Vielzahl von Herausforderungen zu stellen. Die Unsicherheit darüber, welche Ansätze Erfolg versprechend sind, ist groß. Es bleibt wohl nur der Trial-and-Error-Ansatz, also vieles auszuprobieren, dabei zu lernen und sich schnell von nicht marktfähigen Ideen zu trennen. Die verbleibenden Ideen sichern den Fortbestand. //

 

 

Autorenvita: Prof. Dr. Thomas Asche

 

 

1; Beitragsbild Studie Absatzkanäle / Quelle
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/295408/umfrage/umfrage-zur-bedeutung-von-vertriebskanaelen-und-betriebsformen-im-einzelhandel/, Stand 27.2.2018, 3 200 Befragte

 

Literatur
Frick, W., Wie viel Kunde steckt in Big Data? in Computerwoche, 26.2.2016.
Gondorf, L., Wie der Handel von morgen heute schon aussehen kann, in asw, Heft 10, 2016, S. 34-39.
Kriener, K., Grimm, J. H., Berg, Ch., Nachhaltigkeit im Handel, Göttingen, 2011.
Lambertz, W., Pinhammer, J., Payment-Initiativen mit Blick auf Europa, in Retail Technology, Heft 2, 2017, S. 24-27.
PwC, Shared Benefits: How the sharing economy is reshaping business across Europe, https://www.pwc.co.uk/issues/megatrends/collisions/sharingeconomy/future-of-the-sharing-economy-in-europe-2016.html, Stand 28.2.2018.
Schart, D., Tschanz, N., Augmented und Mixed Reality, 2. Aufl., Konstanz, 2018.
v. Elm, K., Einer für alle?, in Retail Technology, Heft 1, 2018, S. 70 f.

 

 

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Big – Smart – Fast

Unser Arbeitsalltag wird zunehmend von digitalen Daten beeinflusst. Big Data berührt alle Branchen und Märkte.

von Bernhard Haselbauer

Werfen wir im Kontext der Digitalisierung einen kurzen Blick zurück: Es wird angenommen, dass es der Menschheit im Jahr 2002 zum ersten Mal möglich war, mehr Informationen digital als analog zu speichern – der Beginn des „Digitalen Zeitalters“. Alles was heute an analogen Informationen in Bits und Bytes gewandelt werden kann, wird zu Daten. Im Zuge der Digitalisierung, die Unternehmen im Kontext betrieblicher Abläufe zu Effizienzsteigerung und damit einer verbesserten Wirtschaftlichkeit verhilft, wachsen die Daten dementsprechend exponentiell. Wir sprechen heute von Big Data. Der aus dem englischen Sprachraum stammende Begriff Big Data oder auf gut Deutsch Massendaten steht dabei grundsätzlich für große digitale Datenmengen, aber auch für deren Analyse, Nutzung, Sammlung, Verwertung und Vermarktung.

In der Definition von Big Data bezieht sich das „Big“ auf die drei Dimensionen „volume“, für Umfang und Datenvolumen, „velocity“ für die Geschwindigkeit, mit der die Datenmengen generiert und transferiert werden, sowie „variety“ für die Bandbreite der Datentypen und -quellen. Erweitert wird diese Definition um die zwei V „value“ und „validity“, welche für einen unternehmerischen Mehrwert und die Sicherstellung der Datenqualität stehen. Die gesammelten Daten können dabei aus verschiedensten Quellen stammen: Überwachungssysteme, Nutzung von Kunden- oder Bank- bzw. Bezahlkarten, jegliche elektronische Kommunikation, Navigationssysteme, GPS, Smartphones, Smart Homes, Fahrzeuge aller Art, von Behörden und Unternehmen erhobene und gesammelte Daten, Sensordaten im Kontext von IoT und Industrie.

Die Analyse, Erfassung und Verarbeitung von großen Datenmengen ist heute in vielen Bereichen alltäglich, aber verbesserungswürdig hinsichtlich Big Data.
Datenmengen sind und werden zu groß, zu komplex, zu schnelllebig oder zu schwach strukturiert, um sie mit herkömmlichen Methoden der Datenverarbeitung auszuwerten. Aktuelle Entwicklungen von Software für die Verarbeitung von Big Data kommen neben klassischen prioritären Anbietern oft aus dem Open-Source-Bereich. Bekannt ist hier z. B. Apache Hadoop, ein freies Framework für skalierbare, verteilt arbeitende Software, die es ermöglicht, intensive Rechenprozesse mit großen Datenmengen auf Computerclustern durchzuführen.

Big Data kann Geschäftsprozess-Verbesserungen in allen Funktionsbereichen von Unternehmen, vor allem aber im Bereich der Technologieentwicklung und Informationstechnik sowie des Marketings, erzeugen. Die Erhebung und Verwertung der Datenmengen dient dabei im Allgemeinen der Umsetzung von Unternehmenszielen. Bisher haben vor allem große Branchen, Unternehmen und Anwendungsbereiche der Wirtschaft, Marktforschung, Vertriebs- und Servicesteuerung, Medizin, Verwaltung und Nachrichtendienste die entsprechenden digitalen Methoden für sich genutzt: Die erfassten Daten sollen weiterentwickelt und nutzbringend eingesetzt werden.

Die Erhebung der Daten dient dabei meistens für konzernorientierte Geschäftsmodelle sowie Trendforschung in den sozialen Medien und Werbeanalysen, um zukunftsweisende und möglicherweise gewinnbringende Entwicklungen zu erkennen. Big Data kann die Triebfeder für innovative Geschäftsmodelle und Produkte werden. Welches Marktpotenzial tatsächlich in Big-Data-Lösungen steckt, scheint nicht vorhersehbar: 2013 prognostizierte der US-Marktforscher IDC den weltweiten Umsatz für 2017 auf gut 32 Milliarden Dollar. Tatsächlich betrug er 2015 bereits 125 Milliarden.

VR- und AR-Technologien im Handel mit Zukunft

Die Redaktion im Gespräch mit Christian Feilmeier, Geschäftsführer bei The Retail Performance Company, und Peter Milotzki, VR-, AR- und Robotics-Experte bei The Retail Performance Company.

Peter Milotzki, VR-, AR- und Robotics-Experte bei The Retail Performance Company

Herr Milotzki welche Technologien stehen im Bereich Schulungs- und Trainingsanwendungen für den Handel heute bereit?
Aktuell verwenden wir für unsere Trainings vor allem die VR-Brillen Samsung Gear und die Microsoft HoloLens. Auch mit der Virtual-Reality HTC VIVE haben wir gute Erfahrung gemacht und sie bei dem ersten weltweiten virtuellen Produkttraining für BMW China eingesetzt. Die 6 000 Teilnehmer des Trainings, Verkäufer, Serviceberater und Product-Geniuses, konnten die neue Hinterachse der BMW 5er-Limousine hautnah erleben, ohne dass das Fahrzeug auf eine Hebebühne gehoben werden musste. In einem virtuellen Trainingsraum erklärten wir Produktdetails und Funktionen der Bauteilkomponenten. Für die Teilnehmer war es mit dieser Trainingsmethode viel einfacher, die komplexe Technik zu betrachten und vor allem zu verstehen.

Welche Vorteile bringt die VR- und AR-Technologie, um das Produkttraining für den Vertriebler der Zukunft zu optimieren?
Peter Milotzki: Ein Vorteil ist die Zeitersparnis. Als durchführender Trainer spart man in der Trainingseinheit rund 30 Prozent an Zeit, wenn AR- oder VR-Technologien eingesetzt werden, da die Inhalte klarer und strukturierter vorgestellt werden können als auf klassischen Powerpoint-Folien. Auch ist der Lernerfolg deutlich größer, weil sich die Teilnehmer an die Inhalte des Trainings leichter erinnern und die Verbindung zu den Themenfeldern schneller erfassen. Zudem hält die Aufmerksamkeit wesentlich länger als bei Teilnehmern, die ihren Inhalt nur in einem Selbststudium oder als „Frontalunterricht“ vermittelt bekommen. Sie können den Inhalt innerhalb der AR- und VR-Welt selbst entdecken und setzen sich spielerisch mit den Trainingsinhalten auseinander.

Inwieweit werden funktionierende VR- und AR-Anwendungen von den Mitarbeitern angenommen und als sinnvoll erachtet?
Peter Milotzki: Wir beobachten, dass weniger die neuen Technologien an sich in Frage gestellt werden, eher scheint die Angst vor Veränderung für die Mitarbeiter im Vordergrund zu stehen. Denn sie müssen gewohnte Arbeitsabläufe anpassen und sich mit der Anwendung der neuen Technologien auseinandersetzen. Entscheidend ist, dass sich Unternehmen darüber klar werden, wie die Technologie wirklichen Wert stiften soll und welche konkreten Use-Cases formuliert werden können, sonst ist der Einsatz und die interne Akzeptanz zum Scheitern verurteilt. Unsere Erfahrung zeigt, dass aber genau hier viel falsch gemacht wird: Nutzt ein Unternehmen AR- und VR-Technologien nur zum Ausprobieren oder als Türöffner, verkommt die Technik zum reinen Showeffekt, der keinen nachhaltigen Wert generiert und deswegen von den Mitarbeitern nicht angenommen wird.

 

Christian Feilmeier, Geschäftsführer bei The Retail Performance Company

Herr Feilmeier, wo sehen Sie für den Handel noch weitere innovative Einsatzmöglichkeiten für VR- und AR-Anwendungen?
Die Technologien helfen, neben der Schaffung von neuen Produkterlebnissen, Hemmnisse abzubauen und Berührungsängste zu minimieren – sowohl auf Kunden- als auch auf Mitarbeiterseite. Gerade für erklärungsbedürftige und emotionale Produkte und Services bieten sie ein enormes Veränderungspotenzial, um Kunden komplexe Themen näherzubringen. So können Zusatzinformationen zu Produkten und Services angezeigt und visualisiert werden. Auf großen Verkaufsflächen werden bereits jetzt erste virtuelle Anwendungen eingesetzt, um Kunden durch das Geschäft zu lotsen und sie gezielt Angebote finden zu lassen. Darüber hinaus können Produkte schon präsentiert werden, bevor sie verfügbar sind.

Wie kann der stationäre Handel von VR- und AR-Technologien profitieren?
Christian Feilmeier: Der Einsatz von virtuellen Technologien im stationären Handel führt zu deutlich mehr Personalisierung und bietet neuartige Erlebniswelten. Mit dem eigenen Smartphone oder mit im Laden zur Verfügung gestellten Geräten haben Kunden die Möglichkeit, das komplette Warenangebot auszuwählen, zu konfigurieren und zu erleben. Weitere Vorteile sind die deutliche Senkung von Lagerkosten und die Kapitalbindung. Durch die Kombination digitaler Inhalte mit persönlicher Beratung entsteht noch dazu ein deutlicher Mehrwert gegenüber dem reinen Online-Handel.

Inwieweit spielen Robotics-Technologien bzw. Künstliche Intelligenz für die Customer-Journey eine Rolle – wie werden diese umgesetzt und von Kunden angenommen?
Christian Feilmeier Hier gibt es keine einheitliche Situation, aber wir erkennen den Trend zu einer zunehmenden Akzeptanz von KI-Technologien. Die Kundenreaktionen hängen stark von der konkreten, eingesetzten Lösung ab: Plumpe Roboter schaffen kein positives Erlebnis, menschliche Kopien rufen hingegen Ängste hervor. Der Kunde entscheidet letztendlich selbst, wie seine Customer-Journey verlaufen soll und welchen Mehrwert er in KI-Anwendungen sieht. Wichtig ist dem Kunden, dass man ihn (er-)kennt, dass man über seine bisherigen Transaktionen sowie seine Präferenzen Bescheid weiß. In einer Omnikanal-Welt geht dies nur auf Basis von Daten, die – zunehmend unterstützt durch KI – kanalübergreifend an allen relevanten Touchpoints zur Verfügung stehen müssen. Künstliche Intelligenz erweitert somit das Spektrum und das Zusammenspiel der Touchpoints. Die Herausforderung für Unternehmen liegt darin, die Touchpoints kundenzentriert zu entwickeln und richtig zu managen.

Gibt es schon Erfahrungswerte, inwieweit sich VR- und AR-Anwendungen auf den Absatz von Produkten im Positiven auswirken?
Christian Feilmeier: Wir kennen noch keine Studie, die die positive Wirkung von VR und AR auf den Absatz nachweist. Aber die Nachfrage des Handels nach diesen Lösungen steigt zunehmend. Die Attraktivität der Unternehmen nimmt zu, wenn innovative Technologien eingesetzt werden. Da leistet die spielerische Komponente einen enormen Beitrag, da sich Kunden in einer virtuellen Welt mit Produkten und Services auseinandersetzen können. AR und VR machen es möglich, dass Marken auf unkonventionelle Weise und an ungewohnten Orten optisch präsent sind und mit den Kunden interagieren. Das ist neu und macht den Menschen Spaß. So werden Emotionen geweckt, die Kunden stärker an die Marken binden – ein großes Potenzial für Unternehmen.

Welche Bedeutung haben VR-, AR- und Robotics-Anwendungen für die Customer-Journey der Zukunft?
Christian Feilmeier: Wir denken, dass sich die Customer-Journey innerhalb der nächsten fünf Jahre stark verändern wird. Sie ist kein linearer Prozess mehr, sondern entwickelt sich zu einer nicht vorhersehbaren Kundenreise mit Sprüngen zwischen den Vertriebskanälen. Auf der Gewinnerseite werden Unternehmen sein, die dem Kunden seine präferierte Reise bieten können.
Peter Milotzki: VR-, AR- und Robotics-Anwendungen erlauben dem Handel, bestehende Touchpoints zu optimieren und weitere, attraktive Touchpoints anzubieten. So können Unternehmen ihren Kunden ein vielfältiges Angebot bieten, um Kundenerwartungen nicht nur zu erfüllen, sondern zu übertreffen. Das ist eine große Chance für alle Unternehmen, mit der neue Zielgruppen und Märkte gewonnen werden können. //

 

 

Autorenvitae: Christian Fellmeier & Peter Milotzki

 

 

 

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3-D-Druck transformiert die Wertschöpfungskette

Im Rahmen von Industrie 4.0 entstehen intelligente und vernetzte Fertigungsprozes­se, die Arbeitsabläufe optimieren.

von Tobias Fischer

Die industrielle Fertigung steht kontinuierlich vor neuen Herausforderungen. Innovative Produkte kommen in immer kürzeren Abständen auf den Markt, Kunden bevorzugen maßgeschneiderte Produkte und erwarten kurze Produktionszeiten, um ihren Bedarf möglichst schnell zu decken. Im Rahmen von Industrie 4.0 entstehen deswegen intelligente und vernetzte Fertigungsprozesse, die Arbeitsabläufe effizienter, schneller und flexibler machen. 3-D-Druck ist dabei eine der Schlüsseltechnologien, die die Wertschöpfungskette der Zukunft nachhaltig verändern werden.

Der 3-D-Druck bzw. die additive Fertigung ermöglicht enorme Einsparungen über die gesamte Lieferkette hinweg. Mit den neuen digitalen Produktionsansätzen wird eine digitale Lieferkette geschaffen – es entstehen vernetzte Workflows vom Einkauf bis zum Vertrieb. Dazu ist jedoch eine noch engere Zusammenarbeit von Einkauf, Entwicklung und Produktion notwendig. Denn ob sich ein Unternehmen auf dem Markt behaupten kann, hängt auch davon ab, wie gut es gelingt, das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt und Preis auf den Markt zu bringen. Der Wettbewerbsdruck steigt und nur Unternehmen, die Veränderungen gegenüber aufgeschlossen sind, können Erfolge verzeichnen.

On-Demand-Fertigung auf dem Vormarsch

Der 3-D-Druck nimmt sich dieser neuen Herausforderungen an und ermöglicht mit der On-Demand-Fertigung eine schnelle und individualisierte Herstellung, bei der die Zustellung exakt nach Kundenbedarf erfolgt. Die neuen Technologien des 3-D-Drucks werden dort eingesetzt, wo traditionelle Fertigungsmethoden an ihre Grenzen kommen. Dies zeigt sich besonders bei der Produktion von Teilen mit unterschiedlichen Eigenschaften oder besonderer Komplexität. Komplexe sowie weniger komplexe Produkte können mithilfe moderner Fertigungsprozesse in der gleichen Zeit hergestellt werden. Herkömmliche Produktionsverfahren sind auf Werkzeuge angewiesen – nicht so die additive Fertigung, die werkzeuglos erfolgt. Außerdem entfallen die Kosten für die Umstellung von Produktionsanlagen. Sobald eine neue Modell-Datei im System ist, ist die Anlage sofort bereit, ein Produkt herzustellen. Und das bereits ab Losgröße 1. Die On-Demand-Fertigung mit 3-D-Druck, CNC-Bearbeitung und Spritzgusstechnologien wird der Lieferkette in Zukunft enorm viel Flexibilität in den Bereichen Produktion und Lieferung ermöglichen.

 

Der Metall-3-D-Druck ist eine der Fertigungstechnologien von Protolabs

Predictive Maintenance als Schlüsselbegriff

In der Wertschöpfungskette der Zukunft ist es möglich, Ersatzteile direkt aus den inventarisierten CAD-Daten von Fahrzeugen, Maschinen und Anlagen zu produzieren, bevor ein Ausfall eintritt. Predictive Maintenance ist hier der Schlüsselbegriff. So kann die additive Fertigung künftig auch als direkter Ersatzteillieferant in einem bestimmten Einsatzgebiet, z. B. in Transportfahrzeugen, gesehen werden. Anstatt in einem umfangreichen und kostenintensiven Ersatzteillager werden Teile sozusagen „on board“ gefertigt. Dieser Einsatz wird auch in Zukunft noch stärker an Bedeutung gewinnen.

Beispielsweise ist es im Bereich der Luftfahrt bereits möglich, dass Sensoren im Flugzeug Problemfälle sogar auf 10 000 Meter Höhe entdecken und diese direkt dem Fertigungsunternehmen melden. Dieses kann anschließend Teile produzieren, während sich das Flugzeug noch in der Luft befindet. Nach der Landung stehen die Ersatzteile schon zur Verfügung und können eingebaut werden. Ausfallzeiten werden dadurch enorm reduziert.
Die Verfahren werden stetig optimiert, sodass auch die Serienproduktion von individuellen Teilen immer üblicher wird. Hier schließt sich der Kreis mit den Anlagen- und Maschinenbauern, deren Anlagen auch immer schneller und effizienter arbeiten und die Basis für die fortschreitende On-Demand-Fertigung bilden.

 

Kernaussagen
3-D-Druck verändert die Wertschöpfungskette
der Zukunft, indem eine digitale Lieferkette mit vernetzten
Workflows vom Einkauf bis zum Vertrieb geschaffen wird. Die Grundlage dafür ist eine noch intensivere Kooperation
von Einkauf, Entwicklung und Produktion.
Durch eine On-Demand-Fertigung können Teile individuell und schnell nach Kundenbedarf gefertigt werden.
So reduzieren sich die Lagerhaltungskosten drastisch, da große Mengen vonTeilen nicht mehr kostenintensiv gelagert
werden müssen.
Die Herausforderung liegt in der Umsetzung – vom derzeitigen Istzustand hin zu einer Wertschöpfungskette, die durch digitale Fertigung und einen hohen
Automatisierungsgrad geprägt ist.

 

Vorteile der Fertigung auf Abruf

Durch eine On-Demand-Fertigung können Unternehmen ihre Lagerhaltungskosten drastisch reduzieren, denn Produkte und Ersatzteile können nach Bedarf gefertigt und müssen nicht in großen Mengen kostenintensiv gelagert werden. Auch die Lieferantenkette verkürzt sich enorm, da die Produkte direkt vom Lieferanten – dem 3-D-Druck-Unternehmen – geliefert werden. Ein Second Tier kann damit zum First Tier werden und das benötigte Teil direkt und ohne lange Wartezeiten liefern.

Dazu ist es jedoch erforderlich, dass die Bereiche Einkauf und Logistik in Zukunft in Echtzeit reagieren und alle notwendigen Informationen zum angefragten Zeitpunkt bereitstellen können. Um das zu ermöglichen, müssen Prozesse weitestgehend digitalisiert werden, um präzise Aussagen zu treffen. Das Hauptziel einer On-Demand-Fertigung ist die Optimierung des Endergebnisses – von der Verbesserung der Prototypen- und Teilefertigung bis hin zu Kosteneinsparungen.

Umsetzung in den Unternehmen

Über alle Unternehmensgrößen und -bereiche hinweg findet bereits eine Anerkennung des 3-D-Drucks und der Fertigung auf Abruf statt. Protolabs hat in einer Studie herausgefunden, dass 74 % der führenden Entscheidungsträger in Fertigungsunternehmen von einer erheblichen bis starken Ausweitung von automatisierten Fertigungsprozessen in den kommenden fünf Jahren überzeugt sind. 13 % gehen sogar von einer vollständigen Automatisierung aus. Die Studie zeigt auch, dass bereits 38 % der in Deutschland Befragten die Fertigung mit Begriffen wie „Industrie 4.0“ und weitere 34 % mit „Roboter & automatisierten Prozessen“ assoziieren. 65 % sehen die Fertigungsindustrie in Deutschland als gut vorbereitet für Industrie 4.0 und den Anstieg von digitalen Prozessen.

Auch die additive Fertigung ist Teil dieser digitalen Prozesse – und immer mehr Unternehmen erkennen die Vorteile der neuen Technologien. Dies ist am stetig anhaltenden Wachstum der führenden Unternehmen im 3-D-Druck, aber auch an der Investitionsfreude in diesem Bereich erkennbar. Dies belegen auch die aktuellen Umsatzzahlen von Protolabs: Für das Jahr 2017 meldete das Unternehmen einen Umsatz von 344,5 Mio. Dollar gegenüber 298,1 Mio. Dollar im Vorjahr – ein Plus von 15,6 %. Das vierte Quartal 2017 erzielte sogar den bisher höchsten Firmenumsatz von 94,2 Mio. Dollar, eine Steigerung um 30,2 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Insgesamt wurden 16 985 Anfragen von Produktentwicklern und Ingenieuren bearbeitet, ein Plus von 20,9 % gegenüber Q4 in 2016.

Die Nachfrage ist zwar gegeben, doch die Herausforderung für die Unternehmen wird in Zukunft die Umsetzung sein – vom derzeitigen Istzustand hin zu einer Zukunft, die durch digitale Fertigung und einen hohen Automatisierungsgrad geprägt ist. Mittlerweile ist sich bereits der Großteil der Unternehmen darüber im Klaren, dass ein Bewusstsein und eine Offenheit für umfassende Veränderungen und technologische Trends geschaffen werden muss. Die Unternehmen, die die neuen digitalen Technologien in den Bereichen Produktion, Logistik und Vertrieb schon einsetzen, konnten bereits erste Effizienzgewinne generieren, die sich noch steigern werden. Und auch viele weitere Unternehmen werden in Zukunft verstärkt auf digitalisierte Wertschöpfungsprozesse setzen, um auf dem Markt erfolgreich zu bleiben. //

 

Autorenvita: Tobias Fischer

 

 

 

Der Text ist unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DE verfügbar.
Lizenzbestimmungen:
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/